Atemberaubende Duelle, Doppelsieger in allen IDM-Klassen, ständig wechselnde Emotionen und über 30.500 Zuschauer machten die Rennen zur Internationalen Deutschen Motorradmeisterschaft (IDM) am vergangenen Wochenende zu einer einzigartigen Sause. Deutschlands Top-Serie im Motorradrennsport feierte auf dem Schleizer Dreieck den Saisonhöhepunkt.
Vor genau 100 Jahren fand auf der berühmten Naturrennstrecke in Thüringen der erste Lauf zur Deutschen Motorradmeisterschaft statt. In der höchsten Kategorie waren nichtsteuerfreie Krafträder über 500 ccm am Start. Das Rennen über 200 Kilometer gewann Toni Bauhofer auf Megola. Ihm gelang mit 78 km/h auch die schnellste Durchschnittsgeschwindigkeit des Tages.
Jetzt, 100 Jahre später, haben die Motorräder in der Topklasse über 200 PS und sind mindestens 300 km/h schnell.
Ilya Mikhalchik (Champion Alpha Van Zon) gewann am Wochenende beide Rennen vor Gastfahrer Markus Reiterberger (Masteroil by MRP) und Florian Alt (Holzhauer Racing Promotion). Damit knöpfte der BMW-Fahrer aus der Ukraine dem deutschen Titelverteidiger auf Honda die Führung in der Gesamtwertung ab. Alts Rückstand auf den neuen Spitzenreiter beträgt jetzt acht Punkte. Der 28-Jährige Engelskirchener hatte Schadensbegrenzung betrieben. Zu Beginn des ersten Laufes hatte er vor dem 30-jährigen vierfachen Superbike-Meister Markus Reiterberger die Spitze des Feldes übernommen. Der Publikumsliebling war von der dritten Position gestartet. Die Beiden lieferten sich ein Battle auf Augenhöhe. Alt hatte sich schon im Vorfeld auf den Gastfahrer gefreut.
Mikhalchik sah sich den Zweikampf von hinten an und sein Fahrstil strahlte regelrecht Gelassenheit aus. Aber es war absehbar, dass vom 27-jährigen BMW-Fahrer noch etwas kommen würde. Und Mikhalchik war tatsächlich abgezockt genug, um sich zuerst Alt und später den Bayern zurecht zu legen. Mikhalchiks viertem Saisonsieg stand nichts mehr im Wege.
Der zweite Lauf war wie eine Kopie des ersten Rennens, nur dass sich Reiterberger und Mikhalchik an der Spitze beharkten, was erneut zu Gunsten des Ukrainers ausging. Es herrschte Wehmut in Reiterbergers Brust, der als Gastfahrer keine Punkte bekam, aber schon gerne in seinem grünen Wohnzimmer gewonnen hätte. Der Bayer genießt in Schleiz Kultstatus und ist seit seinem ersten Streckenrekord im Jahr 2013 auf einer Ehren-Stele in der Stadt verewigt. Er ist fest im Glauben: „Wenn wir am Freitag mit dem nagelneu aufgebauten Motorrad so begonnen hätten, wie es heute dasteht, hätte ich die letzten 100 Meter führend ins Ziel gebracht.“ Aufregend: Florian Alt bekam Gesellschaft durch Jan-Ole Jähnig. Der erst zwei Jahre in der IDM Superbike fahrende Thüringer setzte den Titelverteidiger sogar richtig unter Druck. Und dieser wusste längst, dass man „JO“ neuerdings auf dem Zettel haben muss. Das Küken aus der GERT56-Maschinerie ist flügge geworden und wurde Vierter. Kawasaki und Yamaha haben weiterhin mit Leandro Mercado aus Argentinien und dem Österreicher Thomas Gradinger die heißesten Eisen im Feuer. Beide holten einen Top Ten-Platz. Ducati-Star Lorenzo fehlte in Schleiz verletzungsbedingt: Schlüsselbeinbruch links.
In der Auslaufrunde wurden alle Fahrer wie Helden gefeiert. Mikhalchik trennte sich von seinen Knieschonern und warf sie in die Menge. Die Zuschauer stürmten die Strecke, um die Fahrer abzuklatschen. Bengalos ließen gelbe Rauchschwaden in die Luft ziehen. So geht ein Rennen auf dem Schleizer Dreieck zu Ende.
In der IDM Supersport war es das Wochenende von Twan Smits. Der Niederländer hatte sich zum Saisonbeginn so schwer getan, jetzt ist die Welt wieder in Ordnung: Doppelsieg für den 20-jährigen Yamaha-Fahrer vom Team Apreco aus den Niederlanden.
Andreas Kofler war wie schon fast üblich ein Blitzstart von der Pole Position aus gelungen. Nach zwei Runden hatten sich Dirk Geiger (MCA Racing, Honda), Lennox Lehmann (Yamalube Motorsport Kofler), Twan Smits und Luca de Vleeschauwer (MotoLife) hinter dem Österreicher eingefädelt. Vizemeister Smits war es anzumerken, dass er verdammt gut drauf ist. Im zweiten Sektor fuhr er fast eine Sekunde schneller als der führende Kofler. Und dieser war auch völlig überrascht, dass der 20-jährige Niederländer plötzlich neben ihm auftauchte und ihn sogar überholte. Die beiden Yamaha-Fahrer gaben nun den Takt an. In der zehnten Runde ging es drunter und drüber. Smits und Kofler rutschten parallel von der Strecke. Das sah nach einer Ölspur aus. Zwei weitere Fahrer folgten. Die rote Flagge wurde geschwenkt. Gewertet wurde die Reihenfolge der Fahrer nach der letzten vollen Runde. Sie müssen aber innerhalb von fünf Minuten samt Motorrad zurück in der Box sein. Das waren von der Spitzengruppe Twan Smits, Lennox Lehmann, Dirk Geiger, Daniel Blin. Einer fehlte: Andreas Kofler. Er fiel aus der Wertung. Es gab nur die halbe Punktzahl für die absolvierten neun statt der angesetzten 15 Runden.
Im zweiten Rennen wurde Kofler Dritter hinter dem dominierenden Twan Smits und Lennox Lehmann aus Dresden. Weil seine unmittelbare Konkurrenz auf der Naturrennstrecke nicht ganz vorn war, bleibt Kofler aber ganz lässig der Führende in der Gesamtwertung. Was sonst noch aufgefallen ist: Alle Motorradmarken, die in dieser Klasse vertreten sind, haben im Rennen Punkte geholt: Yamaha, Ducati, Triumph, Honda, Kawasaki, MV Agusta.
In der Nachwuchsklasse IDM Supersport 300 gewann Oliver Svendsen (Freudenberg KTM-Paligo Racing) beide Rennen. Der 20-jährige Däne, der kürzlich als Gaststarter sein Debüt in der Weltmeisterschaft gab und auf Anhieb Sechster wurde, gewann den ersten Lauf mit dem hauchdünnen Vorsprung von 0,065 Sekunden vor seinen Teamkollegen Ruben Bijman und Philipp Tonn. Das zweite Rennen wurde aufgrund einer Ölspur auf der Fahrbahn vorzeitig abgebrochen. Svendsen verließ Schleiz als neuer Tabellenführer in der Meisterschaft.
Die Schleizer Fans bekamen in der Klasse der Seitenwagen an diesem Wochenende eine Mischung aus wetterbedingten Herausforderungen sowie Freud und Leid geboten. Die britischen Gebrüder Sam und Tom Christie (Hannafin/LCR Yamaha) gewannen zwar beide Rennen, wurden aber als Gaststarter nicht gewertet. Stattdessen konnten die Franzosen Ted und Vincent Peugeot (Seventy Four Racing Team/LCR Yamaha) zwei Siege verbuchen und ihre Tabellenführung in der IDM-Wertung deutlich ausbauen, die in Schleiz im Mittelpunkt stand. Weil das Schleizer Dreieck mitsamt seiner Atmosphäre eine Ausnahmestellung hat, waren auch WM-Fahrer wie Pekka Päivärinta, Titelverteidiger Todd Ellis und Bennie Streuer angereist. Ausgerechnet Markus Schlosser und Lokalmatador Luca Schmidt (Team Schlosser/LCR Yamaha) mussten Federn lassen. Im Sprintrennen wählten sie die falschen Reifen und im zweiten Lauf rollte ihr Sidecar in Führung liegend in der letzten Runde aufgrund eines Motorschadens direkt vor den Zuschauern auf dem Buchhübel aus.
Fazit: Schleiz war wieder eine Reise wert und das Programm wurde durch drei Cup-Klassen und eine Autogrammstunde im Fahrerlager garniert. Das ist Motorsport zum Anfassen.